Wie man anno 1850 in unserer Stadt das Christfest beging

Nein, strahlend helle Schaufenster mit Spiegelscheiben gab es damals noch nicht, als unser Urgroßvater noch ein Bübchen war und im Fellbarett und mit Knopfstiefelchen zum Weihnachtsmarkt stapfte. Hundert Jahre sind eine lange Zeit und seit anno 1850 hat sich in unserer Stadt viel geändert.

Die Leute waren damals viel zufriedener als wir, daran ist nicht zu zweifeln, auch von denen nicht, die jene romantische Zeit für durchaus unromantisch halten, die wenigen Buden des Weihnachtsmarktes bedeuteten schon ein großes Glück, ein Tanzbär war ein Wundertier und ein Hampelmann mit Glasaugen oder eine Stoffpuppe mit zottigem Flachshaar schenkten den Kinderherzen höchste Seligkeit. Ja, in den Bürgerhäusern vor hundert Jahren waren die Gabentische unterm Tannenbaum oder der bunten Weihnachtspyramide viel bescheidener gedeckt als in unseren Tagen. Und in der Schlichtheit lagen oft mehr Innigkeit und Feier als heute, und der tiefste und schönste Sinn des Festes erhielt seine volle Bestätigung.

So zog man denn in den Tagen vor dem Christfest durch die Läden oder über den Markt und kaufte „das“ Geschenk für jeden; denn ein Geschenk gab es nur, alles übrige war Verschwendung, und die überließ man den Reichen. Was es gab? Nun, eine warme Kapuze, wenns hoch kam, aus Sammet für die kleinen Mädchen, Fausthandschuhe oder Hasenfellmützen mit Ohrenklappen für die Buben, grüne und rote Holzschlitten und natürlich Schaukelpferde. Es gab fast keine Kinderstube, in der nicht ein solcher hölzerner Schimmel oder Rappe stand, auf dem man sich hin- und herwiegen konnte, es gab kaum einen Weihnachtsbaum, vor dem nicht ein Pferdchen mit störrischen Beinen, langer Mähne und blanken, treuen Glasaugen wartete. Und das hölzerne Tierchen erwachte unter den Händen des Jungen, der nun sein Reiter war, zu einem geheimnisvollen, unwirklichen Leben. Es war ein herrliches Spielzeug, an dem man seinen Mut erproben konnte, wenn man sich wild auf- und niederwiegte, an dem sich aber auch die erste unbeholfene Tierliebe zeigte, die oft darin ihren Ausdruck fand, daß so ein kleiner Bengel seine ihm geschenkten Süßigkeiten mit dem Schaukelpferdchen getreulich teilen wollte und todunglücklich war, daß sein Hans keinen Appetit zeigte. …. Der Mutter schenkte man eine neue Morgenhaube mit Spitzen und Rüschen, die Großmutter erhielt ein warmes Schultertuch mit Chenillefransen, und die Männer lederne Tabaksbeutel und lange Pfeifen, deren Porzellanköpfe mit dem Bilde des verehrten Landesherrn, mit einer ihr Füllhorn ausschüttenden Göttin Fortuna oder dem Hubertushirsch geziert war. Den glücklichen Bräutigam überraschte die Liebste mit einer zierlichen perlbestickten „Enveloppe“, die eine Locke ihres Haares barg, während er ihr sinnigerweise ein herrliches Nippes, einen geflügelten Amor aus Bisquit, das ist in diesem Falle Porzellan, überrreichte.

Man erstand alle diese Herrlichkeiten, wenn man sie nicht selber machte, auf dem Weihnachtsmarkt, zu dem auch dick vermummt und mit großen Tragkörben die Bauern aus den Dörfern kamen. Sie kauften reichlich ein und ließen sich bei dieser Gelegenheit vom Bader gleich einen Zahn ziehen und vom Apotheker Influenzapillen und Gichtpflaster mitgeben. Der Wirt vom „Weißen Roß“ aber schenkte schmunzelnd heißen Punsch aus, und seine Frau richtete in der Küche unzählige Portionen Schweinernes mit Kraut her.

Weihnachtspakete wurden auch vor hundert Jahren schon gepackt, der Postillon nahm sie mit oder aber die gute alte Botenfrau, die von Dorf zu Dorf ging, und die es nun schon so lange nicht mehr gibt. Und in einem solchen Päckchen war auch vor genau hundert Jahren ein Weihnachtsbrieflein, das heute vergilbt und zerlesen vor uns liegt:

„Mein lieber, lieber Hans! Hier überschicket Dir Dein Großvater mit der Botenfrau ein kleines Angebind zum heiligen Christ, weil Du immer ein braver, folgsamer Sohn Deiner guten Eltern warest. Bitte Deine gute Mutter, daß sie den Cocolad (damals etwas ganz besonderes!) kochet, und lade dazu ein Deinen guten lieben Vatter und Mutter, Deine Geschwister, die Tante Regina und Onkel Fritz und Karl. Die Lebkuchen wirst Du verteilen. Einen gibst Du Deinem Vatterchen, eines Deinem Mutterchen, eines der Christine, eines der Johanna, eins der Tante. Das große Lebkuchenherz mit den Mandelen aber behältst Du für Dich. Jetzt lebe wohl, mein liebes Hänschen und sey versichert, daß Dich immer erschrecklich lieb haben wird Dein getreuer Großvatter und Pathe Johann Baumgärtl.“

Text: Dr. F. W. Singer, „Sechsämter Land“ Beilage der Sechsämter Neuesten Nachrichten, Jahrgang 4, Nummer 17, 24. Dezember 1953

 

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