Das Hagelwetter, welches in diesem Jahr die Hoffnungen unserer Bauern auf eine gute Ernte zunichte machte, frischt die Erinnerung an frühere Zeiten von Mißernten und darauf folgende Hungersnöte auf. Bekannt sind die Notjahre unserer Heimat von 1816/17, wo infolge anhaltenden Regens das Getreide auf den Feldern verdarb, sodaß die Bevölkerung hungern mußte. Doch scheint das 19. Jahrhundert mit einer Reihe von ausgesprochenen Regenjahren begonnen zu haben, denn 1805 wurde dem bedrängten Landmann von der Regierung geraten, das Getreide vom Verfaulen auf dem Felde dadurch zu retten, daß die Aehren mit kurzen Sicheln und starken Scheren vom Halm geschnitten werden sollten. Dies besagt das folgende
„Publicandum
Das Getreide hat bisher vom Regenwetter zur Erndtezeit verderben müssen, weil die Erndte beim Regenwetter auf dieselbe Art verrichtet wurde, als wenn das Wetter trocken ist. Bisher wurden immer die Aehren mit den ganzen Halmen abgesicheit und auf die Furchen gelegt, nicht um das Getreide, sondern um das mitabgehauene Ackergras zu trocknen. Aber alles so, des Grases wegen, auf den Furchen liegende Getreide geht, sammt dem Stroh und Ackergrase gänzlich verloren, bei anhaltendem Regenwetter; es ist dem Auswachsen und Ausfallen vom öfteren Wenden bei häufigem Regenwetter unterworfen. Diese traurige Erfahrung haben die Landbauer, zu ihrem größten Schaden, schon so oft gemacht und müssen daher vollkommen davon überzeugt seyn: daß bei nassem Erndtewetter das Getreide nicht mehr auf die bisherige verderbliche Weise eingeheimset werden sollte.
Kluge Landwirthe haben in andern Gegenden folgendes Mittel angewandt, um das Getreide bei nassem Wetter trocken einzuheimsen und durch dessen Anwendung das schönste Getreide in der größten Menge und mit leichter Mühe gewonnen und so ihren Wohlstand vermehrt, während alle diejenigen Bauern, welche dem Beispiele ihrer klugen Nachbarn nicht folgten, weil sie ihren Ackerbau nicht mit Nachdenken treiben, alles Getreide, Stroh und Ackergras verloren oder doch nur schlechtes ausgewachsenes Getreide, welches wenig Werth hat, und ungesundes Viehfutter einheimseten.
Diese heilsame Erfindung ist folgende:
Nur die Aehren werden bei trockenem Wetter abgeschnitten und vom Schnitter in einem Sack, den er sich vorhängt, gesammelt. Zum Abschneiden der Aehren sind kurze Sicheln oder krumme Gartenmesser, auch andere starke Messer und starke Scheren brauchbar. Der Schnitter tritt in die Furche, faßt die linke Hand voll Aehren und schneidet sie ab, ohne sich zu bücken, so daß die langen Halme stehen bleiben. Auf diese Art werden alle Aehren eines Beets von dem Halm genommen, ohne das Stroh und Futtergras zu zertreten, weil der Schnittter beständig in den Furchen geht.
Ist ein Getreidefeld von ungleichhohem Wuchse, so werden die hochstehenden und dann die niedrigern Aehren abgeschnitten, welches aber zu gleicher Zeit: geschieht, indem ein Schnitter dem andern auf dem Fuße folgt.
Die so eingesackten Aehren bleiben nicht im Felde liegen, sondern sie werden sogleich eingeheimset und auf den Korn-Böden und Scheun-Tennen ausgeleert, gelüftet und bisweilen gewendet, wo man sie vergähren läßt bis zum Dreschen, welches auch weit weniger Zeit und Mühe kostet und viel ergiebiger ist als das Garben-Dreschen. Ein Tag. ist hinreichend, um auf diese Art ein großes Getreid-Feld einzuheimsen, wenn man zwei Schnitter dazu anstellt. Das Stroh und Acker-Gras sind unverloren, diese werden alsdann zu bequemer Zeit gemähet und eingeheimset. In England werden immer die Aehren ohne Unterschied, ob die Witterung trocken oder naß ‘ist, vorbeschriebenermaßen in der Gelb-Reife zuerst geerntet, weil die Erndte auf diese Art viel ergiebiger ist, indem gar keine Körner auf dem Felde ausfallen und verloren gehen können.
Da nun die diesjährige Erndte mit anhaltendem Regenwetter bedroht ist, so werden alle klugen Landbauer der hiesigen Provinz ihr Getreide nicht mit dem Halm abhauen und des Grases wegen auf die Furchen legen, um so alles zu verlieren, sondern sie werden die hierdurch bekannt gemachte Erfindung als das einzige sichere Mittel, die Früchte ihres Fleißes zu retten, gewiß auf das genaueste benutzen und sich leicht überzeugen, daß sie -auf diese Art nicht nur ihr Getreide und Futter von der Fäulniß retten, sondern weit mehr Getreide und Futter von vorzüglicher Güte gewinnen müssen und durch die vernünftige Befolgung dieses guten Rathes offenbar ihren Wohlstand vermehren.
Die Zehendberechtigten können durch Anwendung dieses nothwendigen Rettungsmittels des Getreides und Vieh-Futters nichts verlieren, weil der Zehende eben so leicht in Aehren, nemlich Sack- oder Maasweise, als in Garben erhoben werden kann.
Zu Jedermanns Wissenschaft ist dies Publicandum an allen Kirchen, Amts- und Rathhäusern und in allen Schenken und Wirtshäusern öffentlich anzuschlagen.
Bayreuth, den 8. August 1805.
Königlich-Preußische Obergebirgische Kriegs- und Domainen-Kammer“
(Einblattdruck 45×37 cm im Dorfarchiv Oschwitz)
Text: Dr. F. W. Singer, „Sechsämter Land“ Beilage der Sechsämter Neuesten Nachrichten, Jahrgang 2, Nummer 10, 15. September 1951