Aus einem sechsämterischen „Büßerbüchlein“

Von Dämonen, Beschwörungen und christlichen Gebetsformeln

Nach dem Volksglauben in unserem Gebiet gab es gewisse Krankheiten und allgemein unangenehme Zustände, welche in boshafter Weise von feindlichen Mächten oder feindlichen Menschen „angetan“ waren. Eine Bannung dieses dämsnischen Zaubers konnte nur durch das „Besprechen“ oder „Büßen“ (hierzulande allgemein „Böißn“) erfolgen. Der die Beschwörung vollbringende „Büßer“ ähnelte durchaus dem „Medizinmann“ der einfachen Naturvölker. Als Vorbedingung der Heilkraft und des Gelingens der Kur galten: der unbedingte Glaube des Kranken an die Wirkung der Beschwörung und sein vollständiges Schweigen. Auch (die Zeit der Zeremonie (bei zu- oder abnehmendem Monde, vor Auf- oder Untergang der Sonne) war zu beachten.. Dreimal sprach der „Büßer“ gewöhnlich die Formel, berührte hierbei die kranke Stelle oder legte die Hände auf und machte das Zeichen des Kreuzes. Die Büßerformeln zeugten deutlich von der Auffassung der Krankheit als eines Dämons.

Das Büßen wurde im Sechsämterland noch bis in die neuere Zeit geübt, z.B. vom alten „Karlmüller“ (Müllermeister Andr. Küspert, gest. 1899, auf der Karlmühle bei Kothigenbibersbach), vom „altn Mattl Frala“ (Wunderlich) in Korbersdorf, die mit den Kindern gegen das „Herzspannen“ oder gegen das „Wäelöchl“ (Gerstenkorn am Auge) hinter einen Holzstoß ging und „in Gottes Namen“ büßte, oder von dem Bauern Johann Gläßel in Lorenzreuth, der 1933 im Alter von 69 Jahren verstarb. Von letzterem ist ein richtiges „Büßerbüchlein“ in Form von Eintragungen in einen Kalender von 1917 erhalten. Da sind eine Reihe derartiger Zauber- und Beschwörungsformeln zusammengetragen (Auszug). Nicht selten wurden Schreibfehler von einem älteren Original einfach mit übernommen.

Vor die Augen: Wir stehen unters Baumes Thür, es stehen drei große Heren dafür. Im Namen Gottes des Vaters, des ‚Sohnes und des heiligen Geistes. (Dieses muß dreimal gesprochen werden, dabei das kranke Auge mit den zwei Fingern aufmachen, und wenn das gesprochen ist, so muß man dreimal hineinblasen. Dieses muß geschehen vor Sonnenaufgang oder nach Untergang.)

Vor allerlei Fieber: Das Wächser tritt dich an mit ganzen Fleiß, das Wahl Gott Vater, Gott Sohn, Gott der hl. Geist. Wolf du hast keine Lunge, Storch du hast keine Zunge, Turteltaube du hast keine Galle, da laß ich meine siebenundsiebenzigerlei Fieber in das fließende Wasser neinfallen. (Das muß dreimal geschehen, dabei allemal eine Hand voll Wasser über … werfen. Man muß sich jedesmal gegen das (fließende) Wasser stellen.)

Vor die Schwinden: Rubit Ubit Raupen Werzen und Schwinden sollen verschwinden. Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes.

Vor den Wurm: Es gibt 77erlei, der erste ist weiß, der andere ist schwarz, der dritte ist roth, du sollst heut den Tag sterben, du sollst nimmer lebendig werden, das helf.dir Gottvater +, Gottsohn + und Gottheiliger Geist +.

Vor Zahnschmerzen: Gott der Herr und Job gingen über Land, darum still Gott der Herr sah sich um Job warum stehest du so traurig da. Es wollen mir meine Zähne aus meinem Munde faulen; greif nei ins Wasser bis auf den Grund, so werden alle deine Zähne wieder gesund. Johann im Namen Gottes des Vaters +, Gottessohnes +, Gottheiliger Geist. +.

Vor das Herzgespann: Vergeh durch alle Rippen wie unser Herr Jesus durch Aegypten; das helf dir Gotvater +, Gottsohn + und Gottheiliger Geist + in der hl. Dreifaltigkeit.

Vor die Platern: Da unsere heilige Maria und Susanna geboren war, so wahr als daß Wort Wort war Föhl und Platern zu vergehn und versprich nicht bey dir sey versprochen; das helf dir Gottvater + Gottsohn + und Gottheiligergeist +.

Vom alten „Karlmüller“ erzählt sein jetzt (Anm.: 1957) 87jähriger Sohn mit einem bewundernswerten Gedächtnis gleich auf Anhieb, als das Stichwort: „Büßen“ fällt, sein Vater sei besonders oft wegen Zahnschmerzen („Zoahreißn“) aufgesucht worden. Diesen Leuten habe er auf einen Zettel einen Spruch geschrieben, das Papier mehrfach zusammengefaltet und zusammengenäht. Während 14 Tagen mußte der Zettel dann unter dem Hemd auf der Brust getragen und anschließend in einen Bach geworfen werden. Gegen Geld machte dies der „Büßer“ nicht, das hatte er als reicher Müller gar nicht nötig. Man hat hier die in der Voiksmedizin als Wegschwemmen der Krankheit durch fließendes Wasser bezeichnete symbolische Handlung vor sich.

Gegen das Gerstenkorn am Auge („Wäelöchl“, „Wäedräckl“; vgl. Österreichisch „Wern“) mußte man. nach Mitteilung der Bäuerin Anna Gläßel (geb. 1874 in Korbersdorf) in den Stadel gehen, dreimal durch ein Astloch schauen, sich dabei immer wieder umdrehen und im Wechsel ausprechen: „Oa Löchl; koa Löchl“.

Überblickt man all diese Schutz- und Abwehrmittel, wie sie der Aberglaube geschaffen und Jahrhunderte im Volk erhalten hat, so muß man gestehen, daß sie einen echt volkstümlichen Grundgedanken zum Ausdruck bringen: nämlich die Personifikation der Krankheit oder des Unangenehmen im allgemeinen (z. B. zum Gericht gehen) als eines schädlichen Wesens oder Dämons, den man bannen kann. Diese Auffassung ist eine durchaus naive, wie sie noch heute Naturvölker haben, ist also keineswegs ein Zeichen für Diummheit, sondern stellt lediglich die primitiven Anschauungen eines unerfahrenen Naturvolkes dar. Der böse Dämon konnte nach der alten Vorstellung nur durch „Beschwörung“ weichen. Die Zaubersprüche haben im Laufe der Jahrhunderte ihren heidnischen Kern in christliche Gebetsformeln gewandelt, wie dies ja auch in anderen Volksbräuchen der Fall ist.

Text: Dr. F. W. Singer, „Sechsämter Land“ Beilage der Sechsämter Neuesten Nachrichten, Jahrgang 8, Nummer 2, 04. Mai 1957

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