Von den rauhbeinigen Fichtelgebirglern

„An den Einwohnern des Fichtelberges (= Fichtelgebirges), an ihrer Lebensart, in ihrer Sprache und ihren Sitten, wurde ueberdieß manches bemerkt, wodurch sie sich von andern Deutschen merklich unterschieden, und weßwegen sie für eine ganz eigene Menschenklasse gehalten wurden.
Der Fichtelberg galt für die gesundeste Gegend in Deutschland. Auf diesem Gebirgswinkel sahe man die ältesten und gesundesten Leute. Und – in der That, man erstaunt über die Menge von neunzig- und hundertjährigen Greisen, welche noch bis zu Ende des sechzehenden Jahrhunderts in den Todtenregistern gefunden werden. Gewiß traf auch hier eine Menge von Ursachen zusammen, welche auf Gesundheit und Lebensdauer den günstigsten Einfluß haben mußten, so lange sich nicht andere, der Gesundheit nach­theilige Uebel in der Lebensordnung herbei drängten. Die frische Gebirgsluft, das nervenstärkende Aushauchen der Fichtenwälder, die silberreinen Granitquellen, die einfache Lebensart der Einwohner, ihre reichliche Milchnahrung, ihr beständiger Aufenthalt in der freyen Natur und dergleichen – welch wirksame Mittel zu einem langen und frohen Lebensgenusse!
Aller Mühseligkeiten ihres Wohnsitzes ungeachtet, hielt man die Fichtelberger für ein beglücktes Völkchen. Man betrachtete sie als Leute, denen die Gabe einer seltenen Abhärtung eigen wäre. Zwar nicht sonderlich groß und stark in ihrem Körperbau, da die rauhe Himmelsluft der menschlichen Fiber (Anm.: Faser, dem menschlichen Zellgewebe) eine große Ausdehnung nicht verstattet, wären sie gleichwohl zu den sauersten und mühsamsten Arbeiten aufgelegt und geschickt, jeden Einfluß der Luft und Witterung glücklich zu ertragen. Man schätzte an ihnen eine seltene Ehrlichkeit, eine liebenswürdige Gutmüthigkeit und ein gewisses naives, freundliches Wesen, weßwegen man den Mangel an äusserer Bildung, der ihnen abgieng, gerne übersahe. Von dieser Seite waren sie so bekannt, daß es gleichfalls ein Sprichwort war, womit man einen wenig civilisirten Menschen bezeichnete, daß man sagte : ’Ein grober Fichtelberger‘! (Fußnote: Nach Bruschius 1542 und Pachelbel 1711).“
„Gewiß war der Fichtelberger früherer Jahrhunderte in vielen Stücken anders geartet, als es der jetzige ist. Indeß, es giebt etwas Bleibendes, was von der Natur, was von dem Boden und von der Luft selbst, die wir einathmen, herrühret. Immer und überall ist der Bergbewohner ein rauherer und mehr abgehärteter Mann als der Bewohner des Thales. Schon die Bewegung von einem Ort zum andern kostet auf Bergen mehr Anstrengung als auf der Ebene. Die frische Himmelsluft, welche ihn umfließt, trägt dazu bey, seinen Körper zu stärken und seinem Gefühlsvermögen eine eigene Stimmung mitzutheilen. Noch jetzt ist dem Einwohner am Fichtelberge die Gabe einer seltenen Abhärtung eigen. Schnee, Kälte und Ungestüm der Witterung achtet er wenig. Selbst die Kinder gehen mitten im Winter am liebsten baarfuß einher. Leichte Verwundungen, Stösse und Püffe werden leicht überstanden. In der Nahrung, in der Kleidung, im Hausgeräthe, begnügt man sich gerne mit dem Nothdürftigen. Gutes Brod, schmackhafte Erdäpfel und eine unverletzte Gesundheit gewähren eine königliche Vergnügsamkeit.
Der Fichtelberger, da er in der Einsamkeit des Waldes wenig Gelegenheit hat, seine Sprachwerkzeuge zu üben, hört lieber, als er spricht. Seine Mundart ist voll, dehnend und langsam. Sie hat gewisse unnachahmliche Eigenheiten, sowohl im Ausdrucke als auch im Tone. Für jedes Lebensverhältniß besitzt dieselbe eigenthümliche Wörter und Redensarten. In seinen Körperbewegungen ist er schwerfällig und langsam. Ein versprochenes Sogleich kann dem Harrenden die Zeit ziemlich lange machen. Er ist mehr witzig als scharfsinnig, besitzt aber ein unvergleichliches Talent, unter dem Scheine der ländlichen Einfalt treffende Wahrheiten an den Mann zu bringen. In seiner einmal gefaßten Meinung ist er, wie die Felsen seines Wohnsitzes, unbeweglich. Noch giebt es hier Menschen, so sparsam, daß sie selbst an ihren Ehren- und Freudentagen lieber Wasser trinken als Bier – so mäßig, daß sie sich rühmen können, nie in ihrem Leben berauscht gewesen zu seyn – so gesund, daß sie lebenslang nichts von Krankheiten zu sagen wissen, und endlich so unbekannt mit den Künsten des Luxus, daß sie den Kaffee nicht einmal zubereiten verstehen. Ihre Vergnügungen aber, wenn sie Reitz und Würze haben sollen, müssen geräuschvoll und lärmend seyn, und immer scheint der Fröhlichkeit, wenn sich nicht ein wenig Unordnung einmischt, etwas abzugehen.
Eine Abnahme der Lebensdauer gegen die vorigen Jahrhunderte ist sehr bemerklich. Die neunzig- und hundertjährigen Greise sind verschwunden. Im Jahre 1605 ist ein hundertjähriges Alter zum letztenmale vorgekommen. Die ältesten Personen, welche in den letzten dreyßig Jahren verstarben, waren weiblichen Geschlechts zu 87 und 89 Jahren. Auszehrung, Wassersucht, Wahnwitz (Anm.: Wahnsinn, gemeint ist wohl die durch Arteriosklerose verursachte Demenz), Leibesschäden etc. sind die örtlichen Gesundheitsübel.“
(Aus : J. H. Scherber, Umsichten auf dem Ochsenkopfe am Fichtelberge, Kulmbach 181l, S. 16 ff, 31 ff.)

Text: Dr. F. W. Singer, „Sechsämter Land“ Beilage der Sechsämter Neuesten Nachrichten, Jahrgang 31,
Nummer 3, 28. März 1987


Nach einer fünfjährigen Pause der Beilage „Sechsämter Land“ von Dr. Friedrich Wilhelm Singer von 1972 bis 1977 pausierte sie ein zweites Mal 1981. Erneut gab es bei der Wiederaufnahme eine Vorbemerkungen des Verlags:

„Nachdem wir von Leserseite her das Verlangen nach fundiertem heimatgeschichtlichen Stoff verspürt haben, erscheint nach dreieinhalbjähriger Unterbrechung erstmals wieder unsere Beilage „Sechsämterland“. Der seit 35 Jahren auf dem „Heimatposten“ stehende ehrenamtliche Urheber dieser Reihe, die von 1950 bis 1981 auf insgesamt 1200 Seiten anwuchs, hat sein am Jean-Paul-Gymnasium in Hof erlerntes Latein noch nicht vergessen. Er übersetzte einen zum Reformationsfest aktuellen Text. An der Fortführung dieser Beilage mitzuwirken, sind selbstverständlich auch andere Autoren eingeladen.“

Die Titelgeschichte wendet sich aber einem herausragendem Beitrag über den lokalen Menschenschlag aus einer neueren Ausgabe von 1987 zu.

 

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